10.2.2025


Die aktuelle Diskussion um verschärfte Asyl- und Aufnahmeregelungen offenbart ein alarmierendes gesellschaftliches Menschenbild. Es setzt sich zunehmend die Vorstellung durch, dass Menschenrechte selektiv gewährt werden können und dass Schutz, Sicherheit und ein Leben in Würde Privilegien sind, die nicht allen zustehen. Diese Haltung prägt sowohl politische Entscheidungen als auch öffentliche Debatten. Während Abschottung, Abschreckung und Entrechtung als legitime Mittel migrationspolitischer Steuerung gelten, geraten die realen Lebensumstände schutzsuchender Menschen aus dem Blickfeld oder werden ignoriert.

Schutzsuchende werden nicht mehr als Menschen in Not wahrgenommen, sondern als Bedrohung für den gesellschaftlichen Wohlstand, die innere Sicherheit und die soziale Ordnung dargestellt. Die Debatte ist geprägt von Kontrollmechanismen, Begrenzung und Restriktion, während die individuellen Schicksale, die Gewalterfahrungen sowie die psychischen und physischen Folgen von Flucht und Entrechtung kaum Erwähnung finden. Die politische und mediale Sprache entmenschlicht die Betroffenen zunehmend, sodass Maßnahmen, die ihre Rechte beschneiden, nicht mehr als moralisch fragwürdig wahrgenommen werden, sondern als „notwendige“ Handlungen im Interesse einer Mehrheitsgesellschaft.

 Besonders erschreckend ist in diesem Zusammenhang die zunehmende Stigmatisierung psychischer Erkrankungen, die in der Debatte über Geflüchtete eine neue Dimension erreicht. Menschen mit psychischen Erkrankungen werden immer wieder als potenziell gefährlich dargestellt – eine Darstellung, die nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch hochgradig diskriminierend ist. Das von der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) veröffentlichte Fact Sheet „Gewaltrisiko und psychische Erkrankung“ zeigt klar, dass das Gewaltpotenzial nicht durch die Erkrankung selbst bedingt ist, sondern durch soziale Faktoren wie Armut, Diskriminierung und Ausgrenzung. Dennoch wird diese falsche Gleichsetzung genutzt, um Ängste zu schüren, Emotionen zu manipulieren und restriktive Maßnahmen zu rechtfertigen.

Gerade für Geflüchtete mit psychischen Belastungen hat dies dramatische Folgen. Sie erleben nicht nur Stigmatisierung ihrer Erkrankungen, sondern auch die Verweigerung angemessener Versorgung. Traumatisierungen durch Krieg, Flucht und Gewalt werden nicht als ernstzunehmende medizinische und psychologische Herausforderungen betrachtet. Die Folge ist eine systematische Verweigerung von Unterstützung, die Menschen weiter in psychische Krisen treibt und langfristig zu sozialer Isolation und chronischem Leid führt. 

Unsere historische Verantwortung
Die Geschichte der Psychiatrie und Sozialpsychiatrie lehrt uns, welche verheerenden Folgen es hat, wenn gesellschaftliche Vorurteile darüber bestimmen, wer als schützenswert gilt und wer nicht. Psychiatrie war in der Vergangenheit Komplizin politischer Unterdrückung – sei es in der NS-Zeit, als Menschen mit psychischen Erkrankungen systematisch ermordet wurden, oder in der langen Tradition der Pathologisierung gesellschaftlich unerwünschter Gruppen. Diese Geschichte verpflichtet uns dazu, heute klar Stellung zu beziehen.

Die Fortschritte, die in der Sozialpsychiatrie erzielt wurden, beruhen auf der Erkenntnis, dass psychische Gesundheit untrennbar mit sozialen Bedingungen verknüpft ist. Sie zeigt, dass eine humane Praxis nicht wünschenswert, sondern notwendig ist – weil Ausgrenzung und Diskriminierung nicht nur ethisch verwerflich sind, sondern Menschen nachweislich krank machen. Wer heute in der psychologischen, psychiatrischen oder sozialen Arbeit tätig ist, kann nicht neutral bleiben, wenn staatliche Entscheidungen darauf abzielen, vulnerablen Gruppen grundlegende Rechte zu verwehren.

Die Frage ist nicht nur, ob Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus eine medizinische Behandlung erhalten sollen. Die Frage ist, was es über unser gesellschaftliches Menschenbild aussagt, wenn wir überhaupt darüber diskutieren müssen. Was bedeutet es, wenn wir als Gesellschaft bereit sind, systematisch Menschen zu entrechten? Was sagt es über uns aus, wenn Schutz und Würde nicht mehr universell gelten, sondern an Kriterien geknüpft werden, die einer Kontinuität diskriminierender Denkmuster folgen? Diese Entwicklung verpflichtet uns zum Widerstand. Gesundheitsversorgung darf nicht zum migrationspolitischen Druckmittel werden. Psychische Erkrankungen dürfen nicht genutzt werden, um diskriminierende Narrative und Ideologien weiter zu verstärken und zu reproduzieren. Menschenrechte sind nicht verhandelbar.  

Orientierung an den Menschenrechten notwendig

Die gesellschaftliche Debatte muss sich dringend von der gegenwärtigen Entmenschlichung und Stigmatisierung lösen und zu einer Politik zurückkehren, die sich an universellen Menschenrechten orientiert.

 

Politik: Es braucht eine Asyl- und Migrationspolitik, die nicht auf Abschreckung, sondern auf Schutz und dynamische Integration setzt. Dazu gehören sichere Fluchtwege, menschenwürdige Unterkünfte und der uneingeschränkte Zugang zu medizinischer und psychologischer Versorgung für alle Geflüchteten, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Die aktuelle Praxis, Asylsuchende an den Grenzen zurückzuweisen, widerspricht sowohl nationalem als auch internationalem Recht und muss beendet werden.

 

Medien: Die Berichterstattung über Migration und psychische Erkrankungen muss verantwortungsbewusst und differenziert erfolgen. Statt Ängste zu schüren und stereotype Narrative zu bedienen, braucht es eine Perspektive, die die Realität der Betroffenen ernst nimmt und faktenbasiert berichtet. Die Verbreitung von Fehlinformationen und die Sensationslust tragen zur Stigmatisierung bei und erschweren eine sachliche Diskussion über die dringend notwendige Versorgung psychisch Erkrankter und ihre Stabilisierung. 

 

Gesellschaft: Es liegt an uns allen, aktive Solidarität mit geflüchteten Menschen zu zeigen, Initiativen zu unterstützen, die sich für ihre Rechte einsetzen, und einer Politik der Abschreckung und Entrechtung entschieden entgegenzutreten.
Wir wollen nicht in einer Gesellschaft leben, in der Schutzsuchende vornehmlich als Belastung betrachtet und systematisch entrechtet werden, sondern in einer Gesellschaft, die für Menschlichkeit und Menschenrechte, Solidarität und Würde einsteht – für alle.

 

Für den Fachausschuss Migration
der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.
Karin Bernaciak
Ute Merkel
Jürgen Gröbner
Michaela Hoffmann
Daniela Glagla

 

Eugen Berker, Angehöriger eines Forensikpatienten mit eigener Psychiatrieerfahrung

Ich bin Mitglied in der DGSP, weil...

"... man hier gut seine Sorgen, Ängste und auch Kritik äußern kann. Da ist mir wichtig, weil in Hessen Psychiatriepolitik häufig sehr konservativ ist und sich wenig am Wohlergehen der Patienten in der Allgemein- wie auch in der Forensischen Psychiatrie orientiert."

Dr. Klaus Obert, Dipl.-Sozialpädagoge

Ich bin Mitglied in der DGSP, weil...

"... ich der Meinung bin, dass sich sozialpsychiatrisches Denken und Handeln im Sinne des Trialogs unverändert in der DGSP wiederfindet, kontrovers, lebhaft und durchaus kritisch solidarisch diskutiert wird. Vor allem finde ich es beeindruckend, dass zunehmend junge Kolleg/-innen wieder anzutreffen sind und die Beteiligung von Psychiatrieerfahrenen und Angehörigen selbstverständlich wird." 

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