Für eine ethische Legitimation unseres Handelns innerhalb des psychosozialen Hilfesystems sind die Fragen des Umgangs mit Macht, Aggression und Gewalt von zentraler Bedeutung. Die Menschenwürde, die universell für alle Menschen unabhängig von deren Leistung, dem Gesundheitszustand, der Kommunikationsfähigkeit, dem Grad der Hilfebedürftigkeit oder dem Alter gilt, sichert dem Einzelnen das Grundrecht auf Selbstbestimmung zu.
Doch Selbstbestimmung hat da ihre Grenze, wo andere, eigene wie fremde, Grundrechte verletzt werden. Eine Nichtbeachtung selbstbestimmter Willensäußerungen oder Handlungen, also ein Handeln gegen oder ohne den Willen der betreffenden Person, bedeutet Zwang und ist nur legitim, wenn die Grundrechte der betreffenden Person oder anderer geschädigt würden, also in Fällen von realistisch drohender oder tatsächlicher Eigen- oder Fremdgefährdung.
Menschen dürfen in den psychiatrischen Angeboten prinzipiell nur freiwillig behandelt werden. Verweigern sie eine Behandlung, auch wenn dies durch ihre psychische Beeinträchtigung verursacht ist, dürfen sie dennoch nicht zwangsweise behandelt werden. Dies umfasst in Krisenfällen auch ein jeweiliges Ringen um eine Einwilligung des Betroffenen. Eine paternalistische Position jedoch, dass Menschen zu ihrem eigenen Vorteil auch gegen ihren Willen behandelt werden müssen oder ihre Freiwilligkeit durch Mittel wie Vergünstigungen oder Überredung erzwungen wird, lehnen wir prinzipiell ab.
Unterbringungen und andere freiheitsentziehende Maßnahmen nach den Psychisch-Kranken Gesetzen der Länder oder gemäß Betreuungsrecht § 1906, BGB, Abs. 1, Satz 1 stimmen wir zu, sofern sie final mit einer tatsächlichen Selbst- oder Fremdgefährdung begründet sind und nicht kausal aus der psychischen Erkrankung oder der Behinderung.
Zwangsbehandlungen der Anlasserkrankung nach den Psychisch Kranken-Gesetzen der Länder oder BGB §1906, Abs.1, Satz 2, die mit einem für nicht authentisch gehaltenen oder krankhaft beeinflussten und deshalb nicht ernsthaft zu beachtenden Willen begründet werden, stimmen wir nicht zu.
Zur Verhinderung und Reduzierung von Zwangsmaßnahmen fordern wir:
- Die Reorganisation sozialpsychiatrischer Netzwerkarbeit in den Regionen, wo diese durch Sparmaßnahmen und Administration in den letzten Jahren abgebaut wurden.
- Programme zur Gewaltprophylaxe in den Einrichtungen und Diensten, Programme zur Reduzierung von Fixierungen.
- Schulung in De-Eskalierungsstrategien in Heimen und stationären psychiatrischen Angeboten.
Fachausschuss "Netzwerk: Psychiatrie ohne Gewalt" (NPOG)
Der DGSP-Fachausschuss NPOG wurde 2018 gegründet, nachdem sich Mitglieder der DGSP intensiv mit der Kommentierung der S3-Leitlinie "Verhinderung von Zwang" auseinandergesetzt haben. Insgesamt gehören zum Kreis der Mitglieder rund 20 Personen. Der FA ist trialogisch strukturiert.
Es gibt mehrere thematische Schwerpunkte:
- Austausch zu und Förderung einer Psychiatrie, die ohne oder zumindest mit wenig Zwangsmaßnahmen auskommt
- Besuch von guten Praxisbeispielen und Verbreitung guter Methoden zur Zwangsvermeidung: Durchführung von FA-Sitzungen an entsprechenden Orten
- Bericht im DGSP-Vorstand und in DGSP- und anderen Medien, Vorträge bei Fachtagen und Durchführung von Workshops
- Beabsichtigte Durchführung eines Monitoringprojektes zu Gewalt- und Zwangsanwendung in der Psychiatrie unter Beachtung der Menschenrechte und S3-Leitlinie
- Organisation und Durchführung von Fachveranstaltungen
- Politische Positionen erarbeiten und in den politischen Diskurs einbringen
Der FA hat ein Monitoring-Instrument entwickelt, mit dem er die Methoden der besuchten Einrichtungen beobachtet und bewertet. Hierauf aufbauend (Vorschlag: nach 8 Klinikbesuchen) sollen allgemeine Empfehlungen für die klinische Behandlung abgeleitet werden. Der FA beschränkt sich dabei zunächst – auf Basis der S3-Leitlinien – auf die klinische Erwachsenenpsychiatrie und plant zu einem späteren Zeitpunkt auch andere Psychiatriebereiche (ambulant, Gerontopsychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, u. a.) genauer anzuschauen.