Ziel muss in erster Linie sein, den Einstieg in den Konsum, insbesondere in frühen Lebensjahren, zu verhindern. Die teilweise erkennbare dramatische Entwicklung jugendlicher Konsument:innen legt einen Schatten über die Diskussion um die Cannabisfreigabe.
Cannabis ist die in Deutschland und weltweit am häufigsten konsumierte illegale Droge. Regelmäßig konsumieren mehrere Millionen Menschen in Deutschland Cannabis. Von den 14- bis 17-Jährigen haben 10,4 Prozent mindestens einmal Cannabis konsumiert, bei den 18- bis 25-Jährigen sind es 46,6 Prozent (Jahresbericht der Drogenbeauftragten des Bundes, 2020). Der Konsum erfolgt bei den meisten weitgehend unauffällig.
Seit vielen Jahren wird von großen Teilen der Gesellschaft, von Politik und Fachvertreter:innen und Verbänden der Wohlfahrtspflege eine gesetzliche Neuregulierung der Cannabisabgabe gefordert. Vor allem geht es dabei um die Entkriminalisierung von Konsument:innen, die infolge der bestehenden Gesetzeslage der Gefahr der polizeilichen Verfolgung ausgesetzt sind. Die Ampel-Koalition hat im Koalitionsvertrag 2021 die Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizensierten Geschäften vereinbart. Dazu liegt seit November 2022 ein Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vor. Ziel ist es, damit die gesetzliche Grundlage für die kontrollierte Abgabe einzuleiten.
Der größte Teil der Konsumen:tinnen über 18 Jahren gebraucht Cannabis unauffällig und ohne die Persönlichkeit einschränkende Folgen. Dieser großen Gruppe nimmt die kontrollierte Abgabe das Risiko der Strafverfolgung. Für diese Gruppe macht die Cannabisabgabe Sinn, die DGSP unterstützt das Vorhaben für diesen Teil der Konsument:innen.
Die DGSP vertritt berufsübergreifend Mitarbeiter:innen in den unterschiedlichsten Einrichtungen der Suchthilfe. Einen Schwerpunkt bilden Einrichtungen, die im sozialpsychiatrischen Verbund arbeiten. In diesen Einrichtungen fallen besonders Menschen mit Suchtproblemen bei gleichzeitiger psychiatrischer Symptomatik auf.
Die DGSP nimmt zum Eckpunktepapier des BMG mit besonderem Blick auf diese Gruppe Stellung.
Seit mehreren Jahren nimmt die Anzahl der behandlungsbedürftigen Cannabis-konsument:innen mit psychiatrischer Auffälligkeit zu. Schätzungen gehen von 200.000 behandlungsbedürftigen Patient:innen aus. Es handelt sich hierbei um Patient:innen, die sich mittels Cannabis selbst medikamentieren oder die infolge Cannabiskonsums psychotische Symptome zeigen. Ziel einer gesellschaftlich akzeptierten Drogenpolitik sollte sein, junge Menschen, die sich entwicklungstypisch in vielen Bereichen erproben, entdecken und erfahren wollen, auf diesem Weg nicht zu kriminalisieren.
Ein großes Problem stellt aus Sicht der DGSP die Abgrenzung der über 18-Jährigen zu den Jugendlichen dar, für die die Abgabe verboten ist. Gerade diese Gruppe ist nachweislich gefährdet, unter Cannabiskonsum psychische und physische Schäden in ihrer Entwicklung zu nehmen. Neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass der THC-Gehalt maßgeblich die Entwicklung von Psychosen bestimmt. Cannabis mit mehr als 10 Prozent THC führt zu mehr Psychosen (5-faches Risiko), Cannabis mit weniger als 10 Prozent THC ergibt ein 3-faches Risiko. 20 Prozent der Psychosefälle konnten auf täglichen Cannabiskonsum zurückzuführen sein (Zeitschrift Forschung und Wissen, 02.01.2022 nach The Lancet Psychiatrie: 10.1016/S2215-0366 (19) 30048-3). Die im Eckpunktepapier eingeführte Überlegung, bis zum 21. Lebensjahr eine Obergrenze für den THC-Gehalt festzulegen, macht in diesem Zusammenhang Sinn. Die Umsetzung solcher Differenzierungen im Alltag wird nur mit großem Aufwand zu kontrollieren sein. Eine wirksame Kontrolle wird eher ausbleiben.
Die Gruppe der 14- bis 18-Jährigen hat einen erheblichen Anteil am Wachsen der Konsument:innen. Es muss davon ausgegangen werden, dass sie trotz des Bezugsverbots über illegale Wege ihren Konsum fortsetzen wird. Die vorgesehenen Schutzmaßnahmen erschöpfen sich in Verboten und Auflagen. Sie überzeugen nicht, wirksam den Konsum bei unter 18-Jährigen zu verhindern (Teilnahme an Frühinterventions- und Präventionsprogrammen bei verbotenem Erwerb, familiengerechte Maßnahmen gegen die sorgeberechtigten Eltern gem. § 1666 BGB, Mindestabstände der Abgabestellen zu Schulen, Kitas, Spielplätzen etc.).
Ziel muss in erster Linie sein, den Einstieg in den Konsum, insbesondere in frühen Lebensjahren, zu verhindern.
Die teilweise erkennbare dramatische Entwicklung jugendlicher Konsument:innen legt einen Schatten über die Diskussion um die Cannabisfreigabe. Eine Freigabe von Cannabis wird insofern stets weitere Einschränkungen implizieren und das Problem der Illegalität nicht grundsätzlich lösen. Eine Verstärkung der Prävention in der Jugendhilfe ist notwendig, es müssen qualitätsgesicherte Strategien verhaltens- wie auch verhältnispräventiver Formen implementiert werden. Es kann nicht angenommen werden, dass Jugendliche angesichts einer Cannabisfreigabe für Erwachsene weniger konsuminteressiert sein werden. Erfahrungen in anderen Ländern mit Cannabisfreigabe werden unterschiedlich interpretiert. Die Erfahrungen in einigen Staaten in den USA sowie Kanada zeigen einen Anstieg auch bei jugendlichen Konsument:innen. Auch in Deutschland muss mit einer erhöhten Nachfrage nach Beratung und Therapie gerechnet werden. Notwendig zur Flankierung der kontrollierten Cannabisabgabe ist deshalb die Sicherstellung genügender stationärer und ambulanter Therapieplätze. Die Therapieangebote müssen sich in Qualität und Umfang an den derzeitigen Rahmenbedingungen orientieren. Im ambulanten Bereich müssen Psychotherapie-angebote auch neben Reha-Leistungen finanziell abgesichert sein.
Der Erfolg der kontrollierten Abgabe fokussiert sich auf die Frage, ob es gelingt, Jugendliche von einem neben dem regulierten Cannabismarkt bestehenden Schwarzmarkt fernzuhalten. Erfahrungen im Alkoholbereich zeigen, dass unabhängig vom bestehenden Konsumverbot unter 16 bzw. 18 Jahren eine Verhaltensänderung möglich ist. Der Einstieg Jugendlicher in Alkoholkonsum ist rückläufig, es wird weniger getrunken und das Rauschtrinken hat sich in letzter Zeit halbiert. Zu bedenken ist bei einem Vergleich der Suchtstoffe, dass Cannabis bei Jugendlichen im ungünstigen Fall sehr schnell verhaltensverändernd wirkt, psychisch schnell abhängig machen kann und die soziale Lebenssituation stark beeinflusst. Das kann unter exzessivem Alkoholkonsum ebenfalls geschehen, in der Regel wird Alkohol von Jugendlichen aber nicht durchgängig konsumiert, sodass sich ein Abhängigkeitsprozess über mehrere Jahre hinzieht.
Trotz einer kontrollierten Abgabe wird Suchtmittelkonsum stets im Widerstreit gesellschaftlicher Akzeptanz und dem Verlangen nach repressiver Intervention stehen. Drogen gefährden, wie alle Suchtmittel, besonders junge Menschen. Andere Altersgruppen werden einen unauffälligen und weitgehend schadlosen Konsum praktizieren, diese müssen vor Strafverfolgung geschützt werden. Es wird auch mit einer kontrollierten Abgabe keine eindeutige Lösung geben, die allen Problemlagen gerecht wird. Vielmehr muss ein stetig zu führender Aushandlungsprozess zwischen den verschiedenen Polen dazu beitragen, den gesellschaftlichen Interessen, Bedürfnissen und Ängsten gerecht zu werden.
Der Wunsch, mit einer politischen Lösung die seit Jahren geführte polarisierte Diskussion zu beenden, entspringt der Vorstellung, dass es einen Königsweg gebe. Obwohl die Motive oft unterschiedlich sind, münden sie in der weitgehenden Forderung einer Freigabe als Lösung. Anzunehmen, dass mit dem vorliegenden Eckpunktepapier die Probleme weitgehend gelöst seien, ist zu kurz gedacht. Es wird Verschiebungen des Diskussionsfokus geben. Es wird im Kern um die Sorge um die Entwicklung junger Menschen gehen.
Die DGSP bietet ihre Mitwirkung bei der weiteren Ausgestaltung der Rahmen-bedingungen für Jugendliche und Erwachsene an.
Köln, 14.12.2022
i.A. Patrick Nieswand, Geschäftsführer DGSP
Fachausschuss Sucht der DGSP und der Vorstand der DGSP