Bundesminister für Gesundheit Prof. Dr. Karl Lauterbach richtete zu unserer Jahrestagung 2022 ein Grußwort an die Tagungsteilnehmer:innen und bat in diesem darum, ihm die Tagungsergebnisse mitzuteilen.
Schlussfolgerungen aus der Jahrestagung 2022 in Leipzig - Handlungsempfehlungen für die Gesundheits- und Sozialpolitik
Das Tagungsthema der DGSP-Jahrestagung 2022 in Leipzig - „Systemfehler- Schwer zu erreichen ist nicht unerreichbar“ – weist auf Menschen hin, die das vielfältige System der Versorgung und Begleitung nicht erreichen oder von diesem erreicht werden.
Für diesen Personenkreis mit komplexem Hilfebedarf hält das Versorgungssystem keine umfassenden, personenbezogenen Leistungen vor. Kooperation und Koordination sind im gegliederten Sozialsystem mit unterschiedlichen Leistungserbringern nicht gesichert. Schwer erreichbare Patient:innen und Klient:innen fallen schließlich oftmals aus dem Versorgungssystem heraus, werden ausgegrenzt oder finden sich in der Obdachlosigkeit oder fehlplatziert in gemeindefernen Pflegeheimen wieder.
Wie ist die Verbesserung der Situation dieser Menschen zu erreichen?
Unsere Tagungsergebnisse:
Entstigmatisierung und Förderung der Stigmaresistenz
Die laut Koalitionsvertrag geplante Entstigmatisierungs-Kampagne des Bundesministeriums muss partizipativ sein, deshalb müssen Psychiatrie-Erfahrene und ihre Angehörigen von Beginn an bei der Konzeption, Gestaltung und Umsetzung beteiligt werden. Entstigmatisierungs-Kampagnen müssen von der Basis her gedacht und gestaltet sein.
Es müssen weitere Interventionen entwickelt werden, die Entstigmatisierung fördern und die Stigmaresistenz für alle Beteiligten erhöht.
Besserer Zugang zu Leistungen, Barrieren abbauen
Auf die mit dem BTHG eingeführte Voraussetzung, einen Antrag auf Teilhabeleistungen zu stellen, sollte bei dem angesprochenen Personenkreis verzichtet werden. Aufsuchende Arbeit, Aufbau von Vertrauen und Beziehung, sowie die Entwicklung von Perspektiven und eine andere Sicht auf sich selbst zu entwickeln steht im Vordergrund.
Daher fordern wir eine pauschale Förderung für Teilhabeleistungen für einen bestimmten Zeitraum.
Konsequente Umsetzung des BTHG und der UN-BRK
Das Hilfesystem muss flexibler, individueller, „personengesteuert“ sein. BTHG und UN-BRK sollten mit ihren ureigenen Intentionen umgesetzt werden.
Die DGSP hat in ihrem Zwischenruf zur Umsetzung des BTHG vom 20.10.22 auf verschiedene Fehlentwicklungen hingewiesen, die auch durch das Hilfesystem selbst bedingt sind (siehe Anhang).
Stärkung der Kooperation und Koordination der Leistungserbringer
Das versäulte System der bundesdeutschen Sozialgesetzgebung verhindert oftmals Unterstützung. Die ambulanten Komplexleistungen der G-BA-Richtlinie nach § 92 (6b) SGB V schließt nicht das gesamte Versorgungssystem ein und sonst gibt es zu wenig Anreize, die Vernetzung im Sinne des hilfebedürftigen Menschen zu optimieren. Gute Netzwerke und unkomplizierte Leistungsermöglichung könnten dem jedoch entgegenwirken.
Einrichtung ambulanter Komplexleistungen
Komplexleistungen, sofern vom Gesetzgeber vorgesehen, erreichen den relevanten Personenkreis nicht. Sie sind einerseits zu hochschwellig, an einen Wohnsitz und an einer Mitgliedschaft in einer Krankenkasse gebunden. Die Versorgung mit psychiatrischer Krankenpflege und Soziotherapie ist lückenhaft und auf Leistungen des SGB V begrenzt. Bei den ambulanten Komplexleistungen müssen dringend Teilhabeleistungen miteinbezogen werden, um wirksam zu werden.
Einrichtung von ambulanten Krisendiensten
Versuche, Ambulantisierung voranzutreiben (StäB, Hometreatment, PIA usw.) sind bislang nicht hinreichend vorangeschritten. Die Einrichtung und Etablierung interventionsstarker Krisendienste zur Verhinderung stationärer Aufnahmen sind notwendig.
Hierbei sehen wir auch die Krankenkassen in der Pflicht, Verantwortung für die Versorgungsqualität zu übernehmen und mit für die Umsetzung der Leitlinien zu sorgen.
Beendigung der Fehlplatzierung / der gemeindefernen Unterbringung
Die heimatliche Region oder auch der eigene Sozialraum sollte sich nicht nur verantwortlich fühlen, sondern auch strukturell so gestärkt sein, dass diese Verantwortung kompetent zu tragen ist.
Einrichtung regelmäßiger Berichte zur Lage der Psychiatrie
Alle Punkte müssen gut beobachtet und regelmäßig bewertet werden, dazu dient eine regelmäßige aktuelle Beschreibung der Versorgungssituation, in der Lücken, unterversorgte Personengruppen und Probleme sichtbar werden. Die DGSP fordert daher seit langem einen regelmäßigen Bericht zur Lage der Psychiatrie in Deutschland (siehe Anhang) und wird in dieser Forderung von der DGPPN und den Verbänden des Kontaktgesprächs Psychiatrie unterstützt.
Stärkung von Peer-Support
Die Unterstützung von Peers (oder Genesungsbegleitern, Ex-In) muss auf allen Ebenen der Versorgung und Begleitung gewährleistet sein. Peers müssen fester Bestandteil der Versorgung und Begleitung sein. Dies muss sich sowohl im Personalschlüssel als auch in der tariflichen Entlohnung widerspiegeln.
Unterstützung der Selbsthilfe
Die Unterstützung im Rahmen der Selbsthilfe muss nicht nur ermöglicht, sondern auch gestärkt werden. Förderung der Selbsthilfe, z.B. durch Regelfinanzierung, muss gewährleisten, dass die Ressourcen der Selbsthilfe nicht dadurch gebunden werden, sich selbst am Leben zu halten.
i.A. Patrick Nieswand, Geschäftsführer der DGSP
für den Vorstand der DGSP