2022 hat die DGSP einen Vorschlag für weitreichende Veränderungen im Maßregelvollzug veröffentlicht und damit eine breite öffentliche Debatte angeregt. 


Plädoyer für eine Transformation der Maßregeln (2022) - Langversion


Kurzfassung

Erstens: Die §§ 63, 64 und 20, 21 StGB werden gestrichen.

In der Vergangenheit gab es vielfältige Bemühungen, den jeweiligen Vollzug der beiden Maßregeln (der psychiatrischen nach § 63 StGB und der Entziehungsmaßregel nach § 64 StGB) zu reformieren. Diese Vorhaben sind gescheitert. Aufgrund soziologischer, empirischer und rechtspolitischer Erkenntnisse ist die DGSP jetzt zu der Auffassung gelangt und hat den Entschluss gefasst, sich dafür einzusetzen, sie ganz abzuschaffen.

Dies macht eine nachhaltige Änderung des Sanktionenrechts mit seinen zwei Spuren, Strafe und Maßregeln, erforderlich. Die Maßregeln der §§ 63 und 64 StGB werden aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Künftig werden, soweit die Tatbestände erfüllt sind, alle Täter zu einer Strafe verurteilt. Dabei spielen Insuffizienzen der Schuldfähigkeit, wie auch Gesichtspunkte von Gefährlichkeit und Besserungsbedarf, keine Rolle mehr. Also sind auch die §§ 20 und 21 des StGB zu streichen. Soweit eine Freiheitsstrafe ausgesprochen wird, ist sie für alle befristet. Spätestens am letzten Tag der Strafdauer erfolgt eine Entlassung aus dem Strafvollzug. Bei anhaltend als hochgradig gefährlich eingeschätzten Personen bleibt die Möglichkeit erhalten, für sie die Sicherungsverwahrung anzuordnen.

Zweitens: Die Gesundheitsversorgung der sich im Freiheitsentzug befindenden Personen wird von den Ärzten und Diensten am Ort wahrgenommen.

Die Gesundheitsversorgung aller Personen, die sich künftig im Freiheits-(Straf-)Vollzug befinden, wird nicht mehr von der Justiz verantwortet, organisiert und finanziert. Diese Versorgung übernehmen die Ärzte und die sonstigen Gesundheitsdienste und Einrichtungen am Ort der Vollzugseinrichtung. Dies gilt für die somatische wie für die psychosoziale Versorgung. Damit wird die Gesundheitsversorgung von Personen im Freiheitsentzug strukturell identisch mit der Versorgung von Personen, die sich in Alten- und Pflegeheimen befinden.

Drittens: Alle im Freiheitsentzug befindlichen Personen werden in die Sozialversicherungen aufgenommen.

Diese Transformation der gesundheitlichen Versorgungszuständigkeit und der Fiskalfinanzierung aus dem Bereich der Justiz in das System der Versorgung nach den Sozialgesetzbüchern hinein macht es erforderlich, dass alle zu einem Freiheitsentzug (Strafe) verurteilten Personen in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV, SGB V) und in die Rentenversicherung (SGB VI) einbezogen werden. Falls sie nicht selbst die geforderten Beiträge leisten können, muss dies der Staat (die Justizvollzugsverwaltung) tun. Die Personen, die sich im Freiheits-(Straf-)Vollzug befinden sind leistungsberechtigt wie alle anderen versicherten Personen auch. Diese Leistungsberechtigung gilt über das Ende des Freiheitsentzugs fort. Damit ist eine Kontinuität gewährleistet, die es bisher so nicht gab. Zugleich wird damit eine bestehende Diskriminierung beseitigt.

Viertens: Einrichtungen des Maßregelvollzugs können zu solchen des Strafvollzugs werden.

Was kann mit den bisherigen Einrichtungen des Maßregelvollzugs geschehen? Sie sind nicht einfach aufzugeben und abzureißen. In einem Konversionsschritt können sie zu Einrichtungen des Strafvollzugs werden. Zwar werden die bisher für den Maßregelvollzug benötigten Plätze entfallen. Es ist auf der anderen Seite aber damit zu rechnen, dass künftig eine Reihe zusätzlicher Plätze für den Strafvollzug benötigt werden.

Fünftens: Bisherige Beschäftigte des Maßregelvollzugs können in den Justizvollzugsdienst wechseln – oder Mitarbeitende in den Gesundheits- und Sozialdiensten am Ort des Vollzugs werden.

Das Personal des Maßregelvollzugs muss keine Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes haben. Es kann im Rahmen der Konversion zu einem anderen Arbeitgeber wechseln: Beschäftigte werden entweder als Mitarbeiter in den Justizvollzugsdienst überwechseln, – oder sie werden Mitarbeiter in den Gesundheitsdiensten am Ort der Vollzugseinrichtung. In beiden Bereichen werden sie gebraucht. Hier können sie ihre Arbeit quasi aus einer anderen, einer 3 ambulanten Perspektive und Organisationsform heraus tun, die für den weiterhin bestehenden Bedarf an gesundheitlicher und sozialpsychiatrischer Versorgung zuständig sind.

Sechstens: Künftig ist allein der hoheitlich tätige Staat für die Sicherung der Verurteilten und den Schutz der Allgemeinheit zuständig.

Die Psychiatrie wird von hoheitlichen Aufgaben und Schutzpflichten entbunden. Damit können sich die Psychiatrie und die Dienste der psychosozialen Versorgung ganz und ausschließlich auf ihre Hilfe und Unterstützung anbietenden Funktionen konzentrieren. Sie werden von der Vornahme von Sanktionen entlastet. Gutachterliche Tätigkeiten entfallen und beeinträchtigen nicht mehr therapeutische Angebote.

Eugen Berker, Angehöriger eines Forensikpatienten mit eigener Psychiatrieerfahrung

Ich bin Mitglied in der DGSP, weil...

"... man hier gut seine Sorgen, Ängste und auch Kritik äußern kann. Da ist mir wichtig, weil in Hessen Psychiatriepolitik häufig sehr konservativ ist und sich wenig am Wohlergehen der Patienten in der Allgemein- wie auch in der Forensischen Psychiatrie orientiert."

Dr. Klaus Obert, Dipl.-Sozialpädagoge

Ich bin Mitglied in der DGSP, weil...

"... ich der Meinung bin, dass sich sozialpsychiatrisches Denken und Handeln im Sinne des Trialogs unverändert in der DGSP wiederfindet, kontrovers, lebhaft und durchaus kritisch solidarisch diskutiert wird. Vor allem finde ich es beeindruckend, dass zunehmend junge Kolleg/-innen wieder anzutreffen sind und die Beteiligung von Psychiatrieerfahrenen und Angehörigen selbstverständlich wird." 

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