Zur Diskussion, die durch die Ethik-Tagung 2023 der ZfP Südwürttemberg angestoßen wurde.

Einführend möchte die DGSP zur Kenntnis geben, dass der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in den abschließenden Bemerkungen des Staatenprüfungsverfahrens von 2023 die deutsche Bundesregierung wieder einmal deutlich ermahnt, dass im Verhältnis zu anderen Ländern wesentlich zu viel Zwang ausgeübt wird. Dazu kommen die meisten stationären Behandlungsplätze sowie überproportional viele „Forensikbetten“. Umso verwunderlicher ist auf den ersten Blick, dass aktuell in der Fachwelt die ambulante Behandlungsweisung und damit eine Zwangsmaßnahme diskutiert wird.

Im Tagungsbericht führt Prof. Dr. Gerhard Längle (Regionaldirektor im ZfP) Folgendes aus: „Selbstbestimmung sei heute (fast) das Maß aller Dinge, doch bei einer kleinen Gruppe schwer chronisch Erkrankter, die sich weder stationär noch ambulant freiwillig behandeln lassen, sei die ambulante Behandlungsweisung womöglich hilfreich, um eigen- und fremdgefährdendes Verhalten zu verhindern.“

An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Frage, wie mit Menschen, die sich der Behandlung und Betreuung entziehen und gleichzeitig sich und andere nicht unwesentlich gefährden, umzugehen ist, die Fachwelt dauerhaft beschäftigt. Unter bisherigen Bedingungen müssen Fachwelt und Öffentlichkeit allzu häufig zuschauen, bis eine Zwangseinweisung, eine Unterbringung in einer Forensik oder Obdachlosigkeit anstehen. So begründet und notwendig eine ambulante Behandlungsweisung im Einzelfall sein könnte, so wäre sie aller Voraussicht nach ein Tür- und Toröffner. Dazu kämen Fragen wie: Wie soll eine ambulante Behandlungsweisung aussehen? Wer entscheidet wie mit welchen Kompetenzen? Wie sieht der Prozess dahin aus? Wer soll sie umsetzen? Wird sie von Richter:innen verfügt? Werden die PsychKHG geändert? Wird dies eine Aufgabe der SPDi oder der Ordnungsämter?

Die DGSP hat sich immer wieder mit dem Personenkreis der Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung auseinandergesetzt. Personen, die sich nicht freiwillig in Behandlung begeben, Personen, die die Psychiatrie mit ihrem Versorgungssystem nicht erreicht.

Die Psychiatrie bezeichnet diese Menschen mit einer psychischen Erkrankung als

  • noncompliant, krankheitsuneinsichtig
  • Menschen mit komplexen Hilfebedarf
  • herausfordernd
  • Systemsprenger
  • Eigensinnig

Wichtig wäre es nicht nur zu beschreiben, warum diese Personen anders sind, auffallen, es der Psychiatrie schwierig machen, sondern auch zu fragen, wie sich alles entwickelt hat. In vielen Einzelfällen spielen in den Geschichten der Betroffen gerade auch die Behandlungserfahrungen eine wichtige Rolle.

Die beiden letzten Jahrestagungen der DGSP haben sich mit diesen Themen auseinandergesetzt.

Die Jahrestagung 2022 in Leipzig „Systemfehler!? Schwer zu erreichen ist nicht unerreichbar“. Die Tagung stellte unser psychiatrisches Versorgungssystem in den Mittelpunkt. Die Behandlungs- und Teilhabeleistungen müssen individueller, flexibler und niedrigschwelliger werden.

Die Jahrestagung 2023 in Marburg „Armut und Ausgrenzung von Menschen mit psychischer Erkrankung- Was n(t)un?“ Diese Tagung stellte die Wechselwirkungen zwischen psychischer Erkrankung und der Lebenswelt, der Lebensqualität, gesellschaftlichen Faktoren in den Mittelpunkt. Es wurde deutlich welche Bedeutung der psychosozialen Unterstützung und Begleitung zukommt. Behandlung und psychosoziale Unterstützung /Begleitung müssen verbunden sein und gemeinsam handeln. Sozialpsychiatrie ist unverzichtbar.

Die Forderung nach ambulanter Behandlungsweisung und ihre Begründung stellt viele Grundsätze in Frage. Nachfolgend einige Gesetze und fachliche Empfehlungen:

  • UN-BRK – Selbstbestimmung und Autonomie
  • Viele Sozialgesetzbücher fordern Selbstbestimmung.
  • Patienten-Rechte-Gesetz – informierte Entscheidung
  • Betreuungsrecht
  • WHO – personenzentriert, menschenrechtsbasiert und recoveryorientiert
  • S3 Leitlinie psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen- Selbstbestimmung (Empfehlung 1) und Recovery (Empfehlung 2)

All diese Rechte und fachlichen Empfehlungen dürfen nicht in Frage gestellt werden und müssen konsequent umgesetzt werden und sie müssen Grundlage für unser aller Handeln sein. Wir müssen das psychiatrische Versorgungssystem weiterentwickeln und dafür es gibt vielfältige Ansatzpunkte:

  • Selbstbestimmung und Partizipation umsetzen.
    • Patientinnen und Patienten/ Klientinnen und Klienten zur Selbstbestimmung befähigen
    • Leistungserbringer und Leistungsträger müssen ihre Leistungen so gestalten, dass sie Selbstbestimmung und Partizipation ermöglichen. Strukturelle Veränderungen, Arbeitsweise, Prozesse, Haltung verändern.
    • individuelle und flexible Leistungen, niedrigschwellig
  • Gestaltung der Beziehung, Haltung
    • Shared Decision Making (SDM) / Partizipative Entscheidungsfindung, Share to Care, …
    • Professionelle Nähe, Augenhöhe, being with (Soteria), Mitgefühl (Reddemann)
    • Adherence
  • Umfassende Leistungen
    • Wellbeing-Konzept / Wohlbefinden, Lebensqualität, Wechselwirkungen zwischen seelischer Gesundheit und Lebenswelt
    • Schutz- und Risikofaktoren seelischer Gesundheit
    • Dominanz des medizinischen Krankheitsmodell selbst im bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell; bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen kommt dem psycho-sozialem besondere Bedeutung zu, der Sozialpsychiatrie;
    • Sektorübergreifende Verbünde; Bedeutung des Psychiatrie-Dialogs; unser Positionspapier;
  • Bestehende Lücken im Versorgungssystem schließen
    • flächendeckende Leistungen von StäB, Komplexleistungen, Soziotherapie, psychiatrischer Krankenpflege, PIA mobil … sicherstellen;
    • flächendeckende Krisendienste aufbauen
    • Sozialpsychiatrische Dienst, fachlichen Standard sichern (vgl. Forderungen -Segel setzen…)
    • gemeindepsychiatrische Verbünde mit regionaler Versorgungsverantwortung und -verpflichtung unter Beteiligung alle in einer Region Verantwortlichen (inklusive Kommunen, Leistungsträgern und Leistungserbringern) müssen flächendeckend eingeführt werden.
  • Fachkräftemangel begegnen
  • Forschung
    • Erfahrungen mit Behandlung
    • Entstehen von Schuld und Scham, Eigenstigmatisierung entgegenwirken
    • Wie entwickeln sich einerseits Widerstand und andererseits Rückzug gegenüber Behandlung und Unterstützung?

Zusammenfassend müssen aus Sicht der DGSP die genannten Punkte entwickelt, weiterentwickelt und konsequent umgesetzt werden. Eine Diskussion über ambulante Behandlungsweisungen wäre somit überflüssig.

10.01.24
Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (DGSP)


Eugen Berker, Angehöriger eines Forensikpatienten mit eigener Psychiatrieerfahrung

Ich bin Mitglied in der DGSP, weil...

"... man hier gut seine Sorgen, Ängste und auch Kritik äußern kann. Da ist mir wichtig, weil in Hessen Psychiatriepolitik häufig sehr konservativ ist und sich wenig am Wohlergehen der Patienten in der Allgemein- wie auch in der Forensischen Psychiatrie orientiert."

Dr. Klaus Obert, Dipl.-Sozialpädagoge

Ich bin Mitglied in der DGSP, weil...

"... ich der Meinung bin, dass sich sozialpsychiatrisches Denken und Handeln im Sinne des Trialogs unverändert in der DGSP wiederfindet, kontrovers, lebhaft und durchaus kritisch solidarisch diskutiert wird. Vor allem finde ich es beeindruckend, dass zunehmend junge Kolleg/-innen wieder anzutreffen sind und die Beteiligung von Psychiatrieerfahrenen und Angehörigen selbstverständlich wird." 

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