Dass in der Fachwelt, ausgelöst durch die Ethik-Tagung des ZfP Südwürttemberg und der PP.rt Reutlingen im Oktober 2023, die ambulante Behandlungsweisung diskutiert wird, nahm die DGSP bereits im Januar 2024 zum Anlass für ein Statement, das nun durch dieses Thesenpapier ergänzt und aktualisiert wird.
In der Diskussion wird die ambulante Behandlungsweisung oft mit der Frage der Zulässigkeit von ambulanter Zwangsanwendung allgemein vermischt. Dies sind aber unterschiedliche Themenfelder, die getrennt betrachtet werden sollten. Beim aktuellen verfassungsrechtlichen Normenkontrollverfahren zu § 1906a des BGB (fußend auf dem BGHBeschluss XII ZB 459/22 vom 08.11.2023), bei dem wir uns mit der Beantwortung von Fragen des Bundesverfassungsgerichts eingebracht haben, geht es ausdrücklich um ambulante Zwangsbehandlung und nicht um eine Behandlungsweisung.
Um in diesem Papier beide Themenfelder klar gegeneinander abzugrenzen, stellen wir hier zunächst eine Definition der ambulanten Behandlungsweisung voran.
Was ist eine ambulante Behandlungsweisung?
Eine Behandlungsweisung ist die richterliche Anordnung einer Behandlung. Die ambulante Behandlungsweisung ist solch eine richterliche Anordnung in einem ambulanten Behandlungssetting. Sie kann einen Menschen dazu verpflichten, eine Medikation ambulant einzunehmen oder eine Behandlung aufzusuchen. Weigert sich die betreffende Person, dieser Verpflichtung nachzukommen, kann dies zu einer zwangsweisen stationären Aufnahme in einem geeigneten Krankenhaus und zur anschließenden Zwangsmedikation
führen.
In Deutschland sind ambulante Behandlungsweisungen gesetzlich nicht vorgesehen. Ins Englische übersetzt werden ambulante Behandlungsweisungen als community treatment orders, kurz: CTOs, bezeichnet. Es finden sich darunter unterschiedliche Praktiken. Sie beinhalten aber in der Regel eine gerichtliche Verpflichtung zur Mitwirkung an einer ärztlich verordneten Behandlung.
Sie stehen als unfreiwillige Behandlungen international in der Kritik.
Ausgangslage der Diskussion einer ambulanten Behandlungsweisung
Als Argument für die Einführung ambulanter Behandlungsweisungen wird angeführt, „bei einer kleinen Gruppe schwer chronisch Erkrankter, die sich weder stationär noch ambulant freiwillig behandeln lassen, sei die ambulante Behandlungsweisung womöglich hilfreich, um eigen- und fremdgefährdendes Verhalten zu verhindern.“ Unser Gespräch mit den Befürwortern der ambulanten Behandlungsweisung in Baden-Württemberg hat deutlich gemacht, dass bei dieser Gruppe die Eröffnung der Möglichkeit einer ambulanten Behandlungsweisung vorwiegend auf eine Zwangsmedikation mit Antipsychotika in Form einer Depotspritze abzielt.
Die Frage, wie mit Menschen, die Behandlung und Betreuung ablehnen beziehungsweise nicht wünschen und gleichzeitig sich und/oder andere nicht unwesentlich gefährden, umzugehen ist, beschäftigt die Fachwelt dauerhaft. Unter den vorherrschenden Voraussetzungen müssen Behandelnde und die Öffentlichkeit allzu häufig zuschauen, bis es zur Zwangseinweisung oder zu einer Unterbringung in der Forensik kommt, Obdachlosigkeit ansteht oder fremdgefährdendes Verhalten ausgeübt wird und Mitarbeitende sich dem schutzlos und ohnmächtig gegenübersehen.
Die Ausübung von Zwang in der Psychiatrie in Deutschland
Medizinische Zwangsbehandlungen sind in Deutschland nur als ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus zugelassen. Es gibt derzeit drei verschiedene Wege einer zwangsweisen Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus.
1. Im strafrechtlichen Bereich, wobei die Unterbringung nach dem Strafgesetzbuch StGB nach den §§ 63 und 64 im Maßregelvollzug, der sogenannten Forensik, erfolgt.
2. Eine zivilrechtliche Unterbringung nach Bürgerlichem Gesetzbuch BGB in Form einer „fürsorglichen“ Unterbringung, die für psychisch erkrankte Menschen möglich ist, denen ein:e Betreuer:in zugewiesen wurde. Die ärztliche Zwangsbehandlung kann dann „im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist“, durchgeführt werden.
3. Eine Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung erfolgt beim Vorliegen einer schweren psychischen Krankheit durch die öffentlich-rechtliche Unterbringung auf Basis eines richterlichen Beschlusses. Gesetzliche Regelungen hierzu werden auf Landesebene erlassen, zum Beispiel in einem Psychisch-Kranken-(Hilfe-)Gesetz (PsychKG, PsychKHG), einem Unterbringungsgesetz oder einem Freiheitsentziehungsgesetz. Eine Selbst- oder Fremdgefährdung muss vorliegen.
Der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat in den abschließenden Bemerkungen des Staatenprüfungsverfahrens von 2023 die deutsche Bundesregierung erneut deutlich ermahnt, dass zu viel Zwang ausgeübt wird. In Deutschland ist verglichen mit anderen europäischen Ländern der Anteil an Zwangseinweisungen überdurchschnittlich hoch.5 Die Behandlungsplätze im Maßregelvollzug sind außerdem sehr zahlreich und stetig zunehmend: Die Anzahl ist zwischen 1970 und 2014 um 235 Prozent angestiegen.6 Umso verwunderlicher ist daher die Diskussion der Einführung einer ambulante Behandlungsweisung und damit einer weiteren Zwangsmaßnahme.
Die DGSP geht von folgenden Thesen zur ambulanten Behandlungsweisung aus, die wir im Folgenden näher begründen wollen:
1. Die Einführung ambulanter Behandlungsweisungen wird dazu führen, dass sie auf einen immer größeren Personenkreis ausgeweitet wird und alternative Behandlungsmethoden nicht ausreichend in Betracht gezogen werden.
2. Nicht zuletzt die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass Zuweisungen und Drehtüreffekte durch die ambulante Behandlungsweisung nicht vermieden werden können.
3. Eine Langzeitbehandlung mit Depotmedikation, die mit der ambulanten Behandlungsweisung ermöglicht werden soll, führt nicht zu einer langfristigen Verbesserung des Krankheitsbildes; andere Therapiemaßnahmen, für die eine Medikamentenreduktion und manchmal sogar das Absetzen erforderlich sind, sind langfristig erfolgversprechender.
4. Die ambulante Behandlungsweisung stellt für Betroffene einen schwerwiegenden Eingriff in ihre Menschenrechte dar; Behandlungserfahrungen von Erkrankten sind für den Genesungsprozess aber von zentraler Bedeutung und müssen in der Behandlung berücksichtigt werden.
5. Das psychiatrische Versorgungssystem muss auch im Sinne eines umfassenden Präventionskonzepts vor dem Hintergrund unumstößlicher Grundsätze und ohne ambulante Behandlungsweisung weiterentwickelt werden, um Zuweisungen und Drehtüreffekte zu vermeiden.
Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (DGSP)
Der Vorstand
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