Neben der Behandlung der Erkrankung müssen insbesondere Teilhabeleistungen, Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht werden. Das ist eine große Herausforderung vor dem Hintergrund der Fragmentierung der Sozialgesetze.

Kurzfassung: 

Bei psychischen Erkrankungen müssen auch die Auswirkungen von Gesundheitsproblemen unter Beachtung des gesamten Lebenshintergrundes eines Menschen berücksichigt werden. Neben der Behandlung der Erkrankung müssen insbesondere Teilhabeleistungen, Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht werden. Diese Leistungen ergänzen die Behandlung und beziehen die Lebenslagen, Krankheitslagen der/des Betroffenen ein. In beiden Bereichen Behandlung und Eingliederungshilfe kommt zusätzlich der Selbsthilfe besondere Bedeutung zu.

Ein Versorgungssystem, das einem der benannten Bereiche Vorrang einräumt und nicht gemeinsam die notwendigen Leistungen erbringt, wird dem Unterstützungsbedarf des psychisch kranken Menschen nicht gerecht. Um Menschen mit einer psychischen Erkrankung personenzentriert zu unterstützen, müssen sich also unterschiedliche Bereiche im psychiatrischen Versorgungssystem ergänzen.

Das ist eine große Herausforderung vor dem Hintergrund der Fragmentierung der Sozialgesetze, die sich auf das Handeln der Leistungserbringer und Leistungsträger auswirkt und häufig dazu führt, dass Leistungen nicht, oder nicht zufriedenstellend erbracht werden. Diese Problematik nahm der DGSPGesamtvorstand im Mai 2023 zum Anlass, Schnittstellen genauer zu betrachten und der Frage nachzugehen, inwieweit Kooperationsformen Zuständigkeit regeln und eine Lösung sein können. Dieses Papier ist die Kurzzusammenfassung über den Diskussionsstand und die sich für uns daraus ergebenden Forderungen.

1. Regionale Verbindlichkeiten in festgelegten Versorgungsregionen

In der Versorgungsverpflichtung wird genau festgelegt:

  • Welche Aufgaben sich aus ihr ergeben
  • Was „Verpflichtung“ bedeutet und wo sie festgelegt ist
  • Für wen sie gilt (inwiefern werden die Klinik, die Obdachlosenhilfe etc. mit einbezogen?)
  • Dass auch das Thema Forensik einbezogen wird
  • Dass es ein Recht des Einzelnen auf umfassende und koordinierte Leistungen gibt
  • Dass die Selbsthilfe regulär eingebunden ist (z.B. bei Fallkonferenzen)
  • Wie mit (einem Bedarf an?) geschlossenen Einrichtungen umgegangen wird
  • Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um der Verpflichtung nachkommen zu können
  • Welche Qualitätskriterien bei der Umsetzung erfüllt werden müssen (Prozess- und Strukturqualität)
  • Dass eine Weiterentwicklung anhand der Qualitätsstandards erfolgt
  • Wie der Datenschutz gewährleistet wird
  • Dass und in welcher Form sich Bund, Länder und Kommunen an der Finanzierung der Leistungen beteiligen.

2. Die Rolle von Sozialpsychiatrischen Diensten

  • Die SPDi sollen Teilnehmer des GPV sein, aber nicht automatisch federführend.
  • Die in den Fachlichen Empfehlungen des Bundesnetzwerks definierten vier Kernaufgaben sollten in allen Bundesländern zum Auftrag der SPDi gehören:
    1) Niederschwellige Betreuung bzw. Begleitung, aufsuchend und nachgehend (z. Bsp. im PsychKG NRW vorgeschrieben)
    2) Krisenintervention und Mitwirkung an Unterbringungen
    3) Planung und Koordination von Einzelfallhilfen
    4) Koordination und Steuerung
  • Bei der Planung und Koordination der Einzelfallhilfe muss z.B. die Bedarfsfeststellung überprüF werden. Diese ist bisher aufwändig und nicht transparent. Ein neues Planverfahren sollte erarbeitet werden (vorrangig BTHG)
  • Die SPDi begleiten Personen, die die Zuschreibung krank oder behindert vermeiden und daher keinen Zugang zu Leistungen haben. Denn als niederschwellige Beratung und Betreuung sind die SPDi prädestiniert dafür. Ein regelmäßiger Austausch und eine enge Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern, -trägern und SPDi ist zwingend notwendig und muss verpflichtend sein, um den oben beschriebenen Personenkreis zu erreichen.
  • Eine Facharzt-/Fachärztinbesetzung bei den SPDi sollte die Norm sein.

3. Sozialraum und Lebensumfeld

Die Sozialraumorientierung muss das Lebensumfeld in den Fokus nehmen und sich daran messen lassen, inwieweit es ihr gelingt, psychische, physische, informationelle und kommunikative Barrieren sowie Vorurteilen oder Fehleinstellungen zu beseitigen.

4. Förderung der „Begegnungsstätten“ niedrigschwellig

Kontaktstellen und Begegnungsstätten müssen auf allen Ebenen gestärkt werden. Kommunen, Land und Bund haben eigene Haushaltstitel dafür vorzusehen.

5. SGB IX ab Basis – Zugänge für alle Menschen verbessern

Notwendig sind

  • Maßnahmen im Vorfeld formaler Leistungsplanung, die gewährleisten, dass auch Menschen mit psychischen Erkrankungen Hilfen erhalten, um Perspektiven und Ziele entwickeln zu können, die ihre Hilfsbedürftigkeit für sich selbst nicht anerkennen können, noch keine Lebensperspektiven oder Teilhabeziele entwickeln konnten oder (krankheitsbedingt) Hilfeangeboten ambivalent oder ablehnend gegenüberstehen. Das kann z.B. Beratung vor einer konkreten Beantragung von Leistungen sein.
  • Verbindliche und zielführende Rechtsempfehlungen auf Landesebene, die regeln, dass
    1) Bedarfsermi7lung und Teilhabeplanung niedrigschwellig und unterstützend aufgebaut werden
    2) alle möglichen Leistungserbringer in das Hilfeplanverfahren einbezogen werden
    3) die Lebensgeschichte und/oder lebensgeschichtlich bedeutsame Ereignisse des Leistungsberechtigten, wie z.B. traumatisierende Erfahrungen aber auch Kompetenzen und Ressourcen, bei der Ermittlung der Hilfebedarfe durch die Länder hinreichend berücksichtigt werden
    4) die Bedarfsermittlung flexibel gehandhabt wird und eine »Neujustierung« der Inhalte des Instrumentes bzw. des Prozesses selbst vorgesehen ist, damit die Maßnahmen nicht ins Leere laufen oder kontraindiziert sind
    5) die Ermittlung des Hilfebedarfs nach dem Prinzip der »gleichen Augenhöhe« erfolgt
    6) Fachkräfte in der Bedarfsermittlung eine sensible, einfühlende und auf Verstehen gerichtete Haltung haben, die sie durch eine entsprechend qualifizierte Ausbildung erhalten. Die Qualifizierung von Teilhabeberaterinnen und -beratern ist essentiell.
    7) auch eine medizinische Teilhabeplanung stattfindet
    8) Menschen, bei denen eine Notlage vorliegt und die „nicht antragsfähig“ sind Angebote unterbreitet werden.

6. Von gesetzlich festgeschriebener Kooperation zu einer Kultur der Kooperation

  • Es muss verpflichtende Kooperationsverträge geben, sowohl in den Gesetzen, als auch in Landesrahmenverträgen, Leistungs- und Vergütungsverträgen, damit wir von fragmentierten Diensten zu mehr Kooperation und Vernetzung kommen.
  • Für alle Kooperationsvorgaben müssen die zur Verfügung stehenden Ressourcen geprüft und ggfs. ausgebaut werden. Vernetzung darf nichts Zusätzliches, sondern sollte Teil der normalen Arbeit sein
  • Netzwerke sollten Autonomie gewähren und fördern
  • Ein flächendeckender Standard von vernetzten sozialen Dienstleistungen und Infrastruktur auf kommunaler Ebene ist zu entwickeln
  • Kooperation und Vernetzung ist über den Säulen zu schaffen: in Leitbildern der Leistungserbringer, Arbeitsplatzbeschreibungen, Rahmenverträgen

7. Förderung der Beteiligungskompetenz

Dass Recht auf Selbstbestimmung ist im SGB verankert, doch es müssen konkrete Maßnahmen ergriffen werden, damit Menschen das Recht auf Selbstbestimmung auch wahrnehmen können. Dazu muss auch eine systematische Förderung der Eigenkompetenz in Einrichtungen gehören.

8. 24/7: Entscheidungen müssen getroffen werden können, Anlaufstellen erreichbar sein, SGB IX-Zugänge möglich

Ein rund um die Uhr verfügbarer psychosozialer Krisendienst ist flächendeckend zu organisieren. Durch Kooperation und Vernetzung müssten Beratungszeiten unterschiedlicher Träger so aufeinander abgestimmt werden, dass eine 24/7 Deckung möglich ist.

9. Umfassende, zeitnahe und zeitgemäße Leistungen nach SGB I

Das gesetzlich geforderte Entlassmanagement muss umgesetzt und sichergestellt werden. Damit alle einzelnen beteiligten Institutionen nicht nebeneinanderher arbeiten, sondern in das Gesamtsystem flexibel integriert werden können, ist die Einbeziehung in die regionale Versorgungsverpflichtung entscheidend.

Eugen Berker, Angehöriger eines Forensikpatienten mit eigener Psychiatrieerfahrung

Ich bin Mitglied in der DGSP, weil...

"... man hier gut seine Sorgen, Ängste und auch Kritik äußern kann. Da ist mir wichtig, weil in Hessen Psychiatriepolitik häufig sehr konservativ ist und sich wenig am Wohlergehen der Patienten in der Allgemein- wie auch in der Forensischen Psychiatrie orientiert."

Dr. Klaus Obert, Dipl.-Sozialpädagoge

Ich bin Mitglied in der DGSP, weil...

"... ich der Meinung bin, dass sich sozialpsychiatrisches Denken und Handeln im Sinne des Trialogs unverändert in der DGSP wiederfindet, kontrovers, lebhaft und durchaus kritisch solidarisch diskutiert wird. Vor allem finde ich es beeindruckend, dass zunehmend junge Kolleg/-innen wieder anzutreffen sind und die Beteiligung von Psychiatrieerfahrenen und Angehörigen selbstverständlich wird." 

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