Alle eingereichten Projektideen für den Förderpreis 2020 der Stiftung für Soziale Psychiatrie werden hier in einer Kurzfassung veröffentlicht. Sie sollen anregen, aus der Vielfalt der Ideen Beispiele für die eigene Praxis zu gewinnen.
Die Stiftung bedankt sich bei allen Bewerber*innen für die interessanten Einreichungen und wünscht alles Gute für die Weiterentwicklung der Projekte!
THEATER APROPROS wurde 1998 in München gegründet. Der Impuls hierzu kam von Prof. Dr. Hans Lauter, dem ehemaligen Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar, München. THEATER APROPROS geht auf eine Initiative des Vereins Ariadne e.V., Verein zur Hilfe für Alterskranke und seelisch Kranke, zurück. Das Projekt entstand aus der Idee, einen Raum zu schaffen, wo sich Menschen mit psychischen Erkrankungen und in der Psychiatrie professionell Tätige (Psychiater, Psychologen, Sozialpädagogen) ohne therapeutischen Anspruch begegnen.
Theater als ein therapiefreier Raum bietet gleiche Herausforderungen für alle, die sich auf die Bühne wagen. Theater kann durch die Übernahme und das spielerische Umgehen mit anderen, neuen Rollen ohne therapeutischen Anspruch zur Entfaltung personaler Freiheit führen. Theater bietet im Spiel einen Freiraum für unbefangenes Begegnen miteinander und vor Publikum. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf Möglichkeiten und Fähigkeiten, nicht auf vermeintliche Handicaps.
Mehr Infos: www.theater-apropos.de
Ein inklusives Beschäftigungsangebot für Menschen mit und ohne Behinderung
Die Tagesstätte des OIKOS Sozialzentrum im Schwalm-Eder-Kreis bietet Menschen mit einer psychischen Erkrankung Angebote zur Tagesstruktur und Beschäftigung an.
Im November 2018 wurde das „Bistro Netzwerk“ in der Gemeinde Frielendorf in Nordhessen eröffnet, um Klienten aus der Tagesstätte mit einer seelischen Behinderung eine sinnvolle und sozialraumorientierte Beschäftigung anzubieten, welche die Möglichkeit eines Zuverdienstes beinhaltet. Zur Zeit gibt es in der Region kein vergleichbares Angebot der Beschäftigung, in welchem die individuellen Fähigkeiten und Neigungen der Menschen mit einer Behinderung derart berücksichtigt werden können, wie im Bistro Netzwerk.
Die verschiedenen Beschäftigungsbereiche umfassen u.a. den Service, Küche, Hauswirtschaft, Verwaltung und Haustechnik. Die Partizipation und Zusammenarbeit auf Augenhöhe stehen hierbei im Vordergrund.
Im Bistro wird ein reichhaltiges Frühstück angeboten und verschiedene Kuchen sowie eine vielseitige Getränkeauswahl. Ein Großteil des Sortiments setzt sich vor allem aus frischen, regionalen Lebensmitteln zusammen.
Die vorhandenen 35 Sitzplätze des Bistros reichen mittlerweile nicht mehr aus, um der großen Nachfrage von Kunden gerecht zu werden.
Einmal monatlich finden im Bistro kulturelle Veranstaltungen mit regionalen, aber auch internationalen Künstlern statt. Diese Veranstaltungen werden außergewöhnlich gut angenommen und sind eine große kulturelle Bereicherung für den Ort und die Region.
Das Bistro leistet mit diesem Angebot einen außergewöhnlichen Teil zur Teilhabe an Arbeit und Beschäftigung für Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Darüber hinaus bietet es sozialraumorientierte Angebote, welche zahlreiche Schnittstellen und Begegnungen von Menschen mit und ohne Behinderung ermöglichen.
Der Beratungsbus B.O.J.E. (Beratung und Orientierung für Jugendliche und junge Erwachsene) ist ein niedrigschwelliges Kontakt- und Beratungsangebot für junge Menschen bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, die sich im Kölner Bahnhofsumfeld aufhalten. Es wird von AUF ACHSE KJSH e.V. in Kooperation mit dem Gesundheitsamt der Stadt Köln betrieben und vom Amt für Soziales und Senioren der Stadt Köln und aktuell vom Verein „wir helfen“ des Kölner Stadt-Anzeigers sowie der DEG (Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft) unterstützt. Die B.O.J.E. ist ein umgebauter Linienbus, der als Anlaufstelle seit 1993 auf der Rückseite des Hauptbahnhofs, am Breslauer Platz, steht. Seit 2016 ergänzt ein spendenfinanziertes Projekt mit dem Namen BOOT das offene Angebot. Im Rahmen dieses Projektes wird den jungen Klient*innen zweimal wöchentlich eine offene (Einzel-)sprechstunde im Bus außerhalb der regulären Öffnungszeiten der B.O.J.E. und/oder eine flexibel anpassbare und optional sehr intensive Begleitung angeboten.
Die Zielgruppe, die bisher vom Begleitungsangebot BOOT besonders profitierte, waren junge überwiegend wohnungslose Menschen mit psychischen Erkrankungen. Häufig litten die Betroffenen unter Persönlichkeitsstörungen und/oder zeigten einen problematischen Suchtmittelgebrauch. Die BOOT-Begleitung kann sehr flexibel in Anspruch genommen werden und charakterisiert sich durch einen unkomplizierten, stets offenen Zugang- selbst nach mehrfacher Unterbrechung. So wird durch den vorhandenen niedrigschwelligen Ansatz eine vertrauensvolle Beziehung zu der Zielgruppe aufgebaut und aufrechterhalten. Selbst in manchen zunächst wenig aussichtsreich erscheinenden Fällen ist so die Stabilisierung psychisch kranker junger Menschen möglich, die meist nicht nur wohnungs- oder obdachlos sind, sondern vielfach auch ohne die haltgebende Unterstützung familiärer oder sonstiger sozialer Bezugssysteme ihren Weg gehen müssen.
Die BOOT-Begleitungen ebnen vielfach den Weg zur psychiatrischen Regelversorgung für diese nur schwer erreichbare Zielgruppe mithilfe gelungener Kooperationen von niedrigschwelligem Kontaktangebot ergänzt durch fachärztliche Unterstützung auf der Straße und passenden weiterführenden Angeboten des Hilfesystems. Ein Großteil der auf diese Weise begleiteten jungen Menschen konnte sich seit Beginn der Erweiterung des Angebots psychisch stabilisieren und Halt in einer neuen Wohn- bzw. Betreuungssituation finden.
Mehr Infos: www.auf-achse.de
Am DUOday erhalten Menschen mit einer psychischen oder geistigen Beeinträchtigung die Möglichkeit, in den Alltag eines Unternehmens des ersten Arbeitsmarktes für einen Tag zu schnuppern. Für diesen Tag wird zwischen einer Person mit Beeinträchtigung und einer/m Mitarbeitenden eines Betriebes ein Arbeitstandem – ein DUO – gebildet, wobei sie/ er möglichst aktiv an den üblichen Aufgaben der Mitarbeitenden teilnimmt.
Veranstaltet wird der DUOday seit 2016 vom Verein für Innere Mission in Bremen im Projekt MitArbeit, das Menschen mit Depressionen und Psychosen, mit Autismus-Spektrum-Diagnosen und Menschen, die aufgrund sozialer Probleme im Arbeitsleben gehandicapt sind, rund um das Thema Arbeit berät und begleitet.
Inzwischen haben 35 Betriebe und 40 Interessent*innen teilgenommen. Die Teilnehmer*innen berichten von einer wertvollen Erfahrung. Manchmal dauerte der DUOday zwei Stunden, manchmal einen ganzen Tag und in Ausnahmefällen ist aus diesem Tag sogar eine Arbeitsstelle geworden. Es war oft der erste Schritt, sich auch in ein Ehrenamt oder längeres Praktikum zu trauen.
Ganz oder gar nicht arbeiten? Der DUOday transportiert auch ein politisches Anliegen. Menschen, die unter 15 Stunden arbeitsfähig sind, fallen durch das Raster des Integrationsfachdienstes, gelten für die Arbeitsagentur als nicht vermittelbar oder sind von der Rentenversicherung in die Erwerbsminderungsrente „entlassen“ worden.
Perspektivisch nehmen von Jahr zu Jahr immer mehr deutsche Städte teil und mittlerweile gibt es den DUOday in 12 europäischen Ländern. Derzeit arbeitet die Beratungsstelle MitArbeit daran, den DUOday bremenweit in Kooperation mit anderen Trägern zu etablieren.
Mehr Infos: www.duoday.de
In 2018 startete der EX-IN NRW e.V. eine Tagungsreihe unter dem Titel: „Die Zukunft hat schon begonnen: Eine psychiatriefähige Gesellschaft und eine gesellschaftsfähige Psychiatrie durch ExpertInnen aus Erfahrung“. Schirmherrin ist Maria Klein-Schmeink, Gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion. Eine umfassende Dokumentation der Tagung gibt es unter dem Link: https://www.ex-in.nrw/tagung-2020/tagung-2018/ Der zweite Teil der Tagung in Kooperation mit LebensART und anderen Akteuren aus 2018 wird im Jahr 2020 fortgeführt und auf zwei Tage ausgedehnt.
In NRW sind mittlerweile um die 350 Expert*innen aus Erfahrung (Psychiatrie) als EX-IN-Genesungsbegleiter*innen ausgebildet und in verschiedensten Bereichen auf Honorarbasis bis hin zu sozialversicherungspflichtigen Vollbeschäftigungen, in verschiedenen psychiatrischen Bereichen tätig. Auch in anderen Lebens- und Arbeitsbereichen könn(t)en Expert*innen aus Erfahrung nutzbringend tätig sein. Wir wollen sichtbar machen, was vor allem in NRW bereits durch und mit Expert*innen aus Erfahrung gelingt und auf den Weg gebracht wurde.
Kurze Selbstdarstellung des EX-IN NRW e.V.
Nach der Gründung des Bundesvereins EX-IN Deutschland hatten regionale Belange dort nicht ausreichend Platz. Um die Vermittlungsarbeit in der Region zu verstärken und Lobbyarbeit vor Ort breiter aufzustellen, gründete Gudrun Tönnes 2012 gemeinsam mit anderen EX-IN-Trainer*innen aus der Region und EX-IN-Absolvent*innen aus der EX-IN NRW Initiative (seit 2009), den „EX-IN NRW e.V.“. Der Verein ist seit Anfang 2013 gemeinnützig und hat ein breit angenommenes Angebot zur Koordination und Vernetzung von Genesungsbegleiter*innen und EX-IN Unterstützer*innen. Siehe auch: https://www.ex-in.nrw/ und https://www.seelischegesundheit.net/buendnis/mitglieder/880-ex-in-nrw
Vernetzung und Kooperation
„Forschungs-Mitarbeit“
Seit 2013 wurden/werden etliche Bachelor- und Masterarbeiten begleitet, von Studierenden z. B. von der Kath. FH Münster, der FH Münster, der Ruhr Uni Bochum oder der Hogeschool Enschede. S. auch: https://www.ex-in.nrw/ex-in-nrw-e-v/evaluation/
„Anti-Stigma-Arbeit“ / Öffentlichkeitsarbeit
Filmreihen und weitere Projekte, siehe Website: https://www.ex-in.nrw/projekte/
1992 als erstes psychiatrisches Wohnheim im Rhein-Sieg-Kreis eröffnet, ist das Finkenhaus ein Ort, an dem Menschen mit seelischen Erkrankungen und Doppeldiagnosen ein zu Hause finden können.
Wir bieten 8 Plätze für Menschen im Alter von 20 bis 50 Jahren in einem umgebauten Einfamilienhaus an. Die Aufenthaltsdauer richtet sich nach dem individuellen Hilfebedarf.
Im Finkenhaus finden keine therapeutischen Angebote statt. Stattdessen wird der gemeinsame Alltag gelebt und erlebt – Gruppenaktivitäten finden je nach Wünschen und Bedürfnissen der Bewohner statt. Da es keine Fremdversorgung gibt, wird der Haushalt von allen (Bewohnern UND Mitarbeitern) gemeinsam erledigt. Das daraus wachsende Verantwortungsgefühl führt dazu, dass die Bewohner sich auf besondere Weise mit dem Haus verbunden fühlen.
Das multiprofessionelle Team unterstützt die Bewohner individuell bei der Tagesstrukturierung und Wiedererlangung lebenspraktischer Fähigkeiten.
Seit zwei Jahren gibt es die Veranstaltungsreihe „Psychopharmaka? Kritischer Trialog“, die regen Zuspruch erfährt. Die Teilnehmerzahl beträgt durchschnittlich 35 mit durchaus wechselnder Beteiligung. Einige Gäste kommen sogar aus Brandenburg angereist. Viele der Teilnehmer kommen immer mal wieder.
Durch die regelmäßigen Treffen haben sich aber auch neue Netzwerke gebildet. Denn in der Tat ist das Treffen eine Art Austauschbörse für Menschen, die kritisch über Psychopharmaka denken und in einem „Viel hilft viel“ nicht das richtige Motto für Medikamentierungen erkennen. Die meisten Betroffenen befinden sich dementsprechend in Reduktionsprozessen oder denken darüber nach. Viele sind auch medikamentenfrei. Alle geben ihre Erfahrungen im Trialog und den formlosen Gesprächen vorher und nachher sowie in der kurzen Pause weiter. Ängste, Sorgen und Hoffnungen, die mit Reduktionsprozessen verbunden sind, werden offen besprochen. Angehörige finden Gehör, informieren sich und sprechen mit Betroffenen und Profis auf Augenhöhe auch abseits des eigentlichen Trialogs.
So ist der Trialog eine Keimzelle für das Thema Psychopharmakareduktion mitten in Berlin geworden. Die Vorbereitungsgruppe umfasst zur Zeit 15 Personen und ist offen für jeden der Interesse zeigt und sich in dem dafür angelegten Email-Verteiler aufnehmen lässt. Dieser wird ebenfalls rege für den Informationsaustausch genutzt.
Ansprechpersonen: Sabine Haller (s.haller(at)seeletrifftwelt.de), Jann E. Schlimme (dr.schlimme(at)gmx.de)
Preisträger 2020
RESILIENZTRAINING RAMSES ZUR ÜBERBRÜCKUNG VON THERAPIEWARTEZEIT
Ein Training zur Stärkung der seelischen Widerstandsfähigkeit für Betroffene von psychischen Erkrankungen – von und mit Psychiatrie-und Krisenerfahrenen
RAMSES steht für „Resilienz durch Achtsamkeit und Mitgefühl und Schaffung emotionaler Stabilität“ und beschreibt ein 10-wöchiges Training der seelischen Widerstandfähigkeit, welches ganz besonders die Aspekte Achtsamkeit und achtsames Selbstmitgefühl mit einbezieht. RAMSES ist ein Resilienz-Trainingsprogramm, d.h. es zielt darauf ab, die Fähigkeit der Teilnehmer*innen zu stärken, körperliche und psychische Belastungen zu bewältigen. Resilienztraining wird vorwiegend präventiv eingesetzt.
Mit RAMSES ist ein Gruppen-Programm für Menschen mit psychischen Erkrankungen entstanden, die sich in Wartezeit auf einen ambulanten Therapieplatz befinden, d.h. bereits diagnostiziert und in Behandlung wegen einer psychischen Erkrankung sind. Das Programm soll Menschen deshalb speziell während der oft langen Wartezeit auf einen ambulanten Therapieplatz unterstützen, bspw. nach einem stationären oder teilstationären Klinikaufenthalt. Eine weitere Besonderheit ist, dass es von Psychiatrie-und Krisenerfahrenen entwickelt wurde und angeleitet wird (Peer-Ansatz).
Mehr Infos: www.die-erfahrungsexperten.de/angebot/versorgung/ramses/